Andreas Gruber – Apocalypse Marseille

gruber-apocalypseAndreas Gruber – Apocalypse Marseille

Utopische Geschichten, Paperback, 344 Seiten

Luzifer-Verlag 2016

Andreas Gruber zeigt in dreizehn utopischen Geschichten, dass er nicht nur von den Großen der Science-Fiction-Literatur beeinflusst wurde sondern auch welch erzählerisches Talent in ihm selber steckt. Jede seiner Stories führt er mit teils witzigen, teils recht informativen Vorreden ein. Dabei erfährt der Leser/ die Leserin etwas über Grubers schriftstellerischen Werdegang, seine Vorlieben und Abneigungen. Verleugnen kann er nicht seine Affinität und Liebe zum Science-Fiction- und Fantasy-Genre.

Die erste Kurzgeschichte „Sieben Ampullen“ kommt beinahe wie ein normaler Kurzkrimi beim Lesen an. „Ramada Inn“ wartet dann schon mit „Alien“ auf und in „Biohybriden“ erinnert man sich an zahlreiche Filme, in denen Mensch und Maschine eins werden. Viele der Kurzgeschichten entwickeln sich phantastisch und enden teils abrupt mit einem auflösenden Satz. Da wünscht sich der Eine oder Andere eventuell ein herausgezogenes Ende oder eine Weiterentwicklung der Geschichten.

„Weiter oder Raus“ ist in dieser Erzählsammlung ein längeres Werk. Eine perverse Fortführung der dem Leser bekannten Unterhaltungsshows und Reality-Live-Shows im abendlichen Fernsehen. Wer an „Wetten, dass…“ denkt, liegt nicht ganz falsch. Allerdings sollten Menschen mit gutem Vorstellungsvermögen diese Geschichte meiden. Sie ist an Brutalität kaum zu überbieten; nichts für schwache Nerven.

Es gibt auch sanfteres, beinahe Schönes, wenn uns der Autor mit einer Zeitreise ins Wien um 1900 entführt oder auf eine vergangene Forschungsreise ins Innere eines Maya-Tempels. Und dem Untergang der Titanic gibt er in einer seiner Stories einen völlig neuen Aspekt.

Doch die Welt der Zukunft ist nicht rosig, zumindest nicht bei Gruber. Das ist keine heile Welt mehr, die er uns aufzeigt, eher düster und kaputt wie in „Apocalypse Marseille“, die dem Erzählband ihren Namen gegeben hat. Wie geht das Leben nach dem „Fall out“ weiter, wie sieht unsere Welt nach Atomkatastrophen aus? Eines erreicht Gruber mit seinen Geschichten, er regt dazu an sich die künftige Welt einmal anders vorzustellen, vielleicht erreicht er ja damit, dass sich einige Wenige im Jetzt anders verhalten. Ein Lesevergnügen für eingefleischte Science-Fiction-Fans ist sicher.

„Female affairs“ A-cappella-Ensemble

Reken-Female-affairs0193„Female affairs“ A- cappella nicht nur für Frauen

Wegen Krankheit musste das Sextett seinen Auftritt im Rekenforum verschieben. Am Freitagabend konnten die Zuhörer dann endlich die großartige musikalische Leistung der fünf Sängerinnen plus einem Sänger genießen.

„Female affairs“ nennt sich das A-cappella-Ensemble, das Schlager, Popmusik und Jazz präsentiert. Einige Besucher äußern sich vor dem Konzert etwas skeptisch: „Nur Gesang!? Keine Instrumente.“ Das erscheint dem Einen oder Anderen etwas dürftig. Mit dem ersten Stück jedoch setzte schnell bei den rund 100 Zuhörern die Begeisterung ein. Stimmgewaltig zeigen sich die Musikerinnen, ausgefeilt ihre Darbietung und an vielen Stellen sogar sechsstimmig.

Von bekannten Schlagern haben sie die Melodielinie übernommen und dazu ihre witzigen Texte selbst gedichtet. So wird aus Trude Herrs „Ich will keine Schokolade“ ein Song, der sich nicht mit Männern, sondern mit dem Abnehmen beschäftigt, und in ihrem „italienieschen Block“ wird aus dem Song „Rum and Coca-Cola“ von den Andrew Sisters „Pasta und Ruccola“. Aber auch die Beatles, Sting oder Michael Jackson haben sie im Gepäck, musikalische Highlights bei deren Präsentation niemand die Instrumente vermisst. Gekonnt imitieren sie mit ihren Stimmen Lead-, Rhythmus- und Bassgitarre und der Mann im Ensemble ersetzt ein komplettes Schlagzeug.  „Pete the Beat“ (Peter Wehrmann) ist Vorreiter der deutschen Beatboxszene und Vocalpercussionist außerdem Soundimitator allererste Klasse.

Das Publikum wird in einem Quiz mit einbezogen, alle müssen Melodien weitersingen, die die Damen auf der Bühne vorgeben, ein riesen Spaß. Bei Mozart hapert es etwas am Tempo, dafür ist DJ Ötzis „Hey Baby“ leicht zu ergängen, das „Uhh, ahh“ bekommen alle hin, genauso wie die Ergänzung nach „Mahna mahna“. Begeisterten Applaus bekommt das A-Cappella-Sextett reichlich, dafür bedanken sie sich mit „Es regnet Männer „und dem wundervollen Gute-Nacht-Lied „Evening Rise“, einem Gänsehauttitel. „Female affairs“ sind ein Geheimtipp, den man sich merken sollte.

Peter Alexander lebt in den Herzen

Galerie-Peter-Alexander-BOR-0183Die heile Welt erleben – Großartige Komödie begeistert im Vennehof Borken

Peter Alexander lebt in den Herzen der Zuschauer. Für zwei Stunden dem Alltag entfliehen hinein in die heile Welt der Schlager der 50er und 60er Jahre, das versprach Peter Grimberg als Peter Alexander in der Musikkomödie „Servus Peter“ am Samstagabend in der Stadthalle.

Nicht ganz ausverkauft war der Saal, das tat der großartigen Stimmung jedoch keinen Abbruch und der begeisterte Applaus ersetzte die Fehlenden.  Die „best ager“ tauchten tief in erinnerungswürdige Melodien und Musik um Peter Alexander, Caterina Valente und Heinz Erhard ein, die von den Sängern und Schauspielern auf der Bühne vor bezaubernden Kulisse des „Weissen Rössl“ inklusive Bergpanorama dargebracht wurden.

Orientiert an der Handlung der Musikkomödie „Im weißen Rößl“ brachten die Schauspieler Peter Grimberg als Oberkellner Peter und Rebecca Williams als Rösslwirtin, sowie Horst Fleckmann als Kellner, Dieter Grimberg als Dr. Schiefer, Kai Kramosta als Sigismund, Katrin Claßen als Marina und Alex Rosenrot als lispelndes Zimmermädchen Vera das Publikum zum Lachen, Klatschen und Mitsingen. Alte Schlager präsentierte das Ensemble mit Perfektion „Der Dumme im Leben ist immer der Mann“, „Ham se nich‘ n‘ Mann für mich“, „Mariandl aus dem Vachauer Landl“ oder „Ganz Paris träumt von der Liebe“.

Die Hommage an Peter Alexander gelang von der ersten Sekunde an und verzückte die Besucher. Gestik, Mimik und Stimme von Peter Grimberg erinnerten sehr an den Altmeister der Fernsehunterhaltung ohne ihn zu kopieren. Und dann war da noch Heinz Erhardt mit seinen lustigen Sprüchen und dem Originalgedicht von der „Made“, nein, das war Horst Fleckmann, der Erhardt so hervorragend imitierte, dass sogar das Publikum absolut so regierte wie die Menschen vor 50 Jahren. Der direkte Kontakt zur ersten Reihe steigerte noch einmal die Publikumsnähe, als Fleckmann die vielen „Prominenten“ wiedererkannte und begrüßte von Heidi Kabel, Norbert Blüm über den Bundespräsidenten oder Helene Fischer.

Das happy end war bei dieser Bühnenshow garantiert. Mit lang anhaltendem Applaus und stehenden Ovationen bedankten sich die glücklichen Zuschauer für diese herrliche und gelungene Erinnerung an längst vergangene Jahre.

 

 

DRAj – jazzige jiddische Lieder

Galerie-DRAj-Stadtmuseum-BOR-0002 (40) DRAj mit jazzig jiddischen Lieder im Stadtmuseum Borken. „Das ist die hundertste Veranstaltung im Stadtmuseum, aber auch die letzte in diesen Räumlichkeiten“, begrüßte Anne Büning am Freitagabend die Besucher zum Konzert der Gruppe DRAj. „Nach dem Umbau geht es dann weiter. Bis dahin werden wir versuchen Ersatz zu finden. Halten sie Augen und Ohren offen.“

Mit offenen Ohren und bei manchem melancholischen Lied auch geschlossenen Augen verfolgten die Gäste begeistert die ungewöhnliche Mischung aus jiddischen Liedern gepaart mit jazzigen und teils rockigen Klängen von Cello und Akkordeon.

DRAj, das sind Sängerin Manuela Weichenrieder, Cellist Ludger Schmidt und Ralf Kaupenjohann am Akkordeon. Ihr Programm „Ale Shvestern“ eröffnete das Ensemble mit dem Stück „Ale Brider“, eine bewusste Umbenennung des Programmtitels wie Kaupenjohann erklärt: „Das ist unser Statement zum Krieg im Gazastreifen.“

Ihr musikalisches Ausgangsmaterial sind jiddische Lieder aus dem 19. und 20 Jh., deren Geschichten das Trio leidenschaftlich und genreüberschreitend in Musik übersetzt. Den Musikern geht es dabei weniger darum, die Lieder historisch nachzuspielen, sondern den Zuhörern durch die sensible Interpretation einen musikalischen Zugang im hier und jetzt zu ermöglichen. Erklärende Worte gibt es zu jedem Titel von der Sängerin, die nebenbei nicht nur die Texte der Lieder mit ihrer ungewöhnlich umfangreichen Stimme und großer Modulation mit viel Emotion vorträgt, so benutzt sie sie als zusätzliches Instrument beim jazzigen Scatgesang.

Cello und Akkordeon zaubern selten Gehörte Klänge aus ihren Instrumenten von sphärisch bis hin zu rockig, und scheinen die Klang- und Spielmöglichkeiten weit zu überschreiten.

Die Titel der Lieder, wie „Margaritkes“, „Zugesorgt“, Di gildene pawe“ oder „Diregeld“ sind als Ansage weniger wichtig, als die lustigen oder melancholischen Geschichten die dahinter stecken. Trotz der ungeheuren Power der Interpretation genossen die Zuhörer ein zartes und intimes Konzert. Für die großartige Instrumentalarbeit gab es Zwischenapplaus, für das gesamte Programm Bravorufe zum Ende.

 

 

 

Patrick Brosi – Der Blogger

PatricderBloggerk Brosi – Der Blogger

Kriminalroman

456 Seiten, Paperback

Emons Verlag, Köln, 2015

14,95 €

Aus vielen losen Fäden spinnt Patrick Brosi seinen Krimi, in dem es um die undurchsichtigen Machenschaften der Pharmaindustrie geht. „Die Umsätze der Pharmaindustrie liegen zurzeit bei über einer Billion Dollar im Jahr. Das sind tausend Milliarden. Eine Million Millionen.“ Da wird vielleicht der eine oder andere brutale Mord in Kauf genommen.

Nach dem Vorbild von Enthüllungsblogger Julian Assange versucht auch „Der Blogger“ René Berger ungeheure Hintergründe aufzudecken. Lange ist es um ihn ruhig geworden, er scheint untergetaucht.

Der Chefredakteur der Berliner-Post einer online-Zeitung setzt Marie Sommer auf Berger an, sie soll ihn aufspüren und dem Blogger Informationen und Quellen entlocken. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Simon haben sie Wochen Zeit im Schwarzwald Berger zu kontaktieren und geraten in einen Strudel aus Manipulationen und Abhöraffäre.

Ein Mann wird vermisst. Er hat am Titisee ein Ruderboot gemietet, fährt auf die Mitte des Sees und verschwindet spurlos. Selbstmord? Der stark übergewichtige Kommissar Andreas Nagel soll den Fall klären.

Und so gibt es noch einige andere lose Fäden, die Autor Patrick Brosi geschickt zu einer spannenden Geschichte verwebt, einer Mischung aus Krimi, Spionagethriller und sozialen Dramen. Sprachlich hapert die Geschichte gelegentlich am süddeutschen Idiom, das den Lektoren wohl durchgegangen ist und einigen etwas übertrieben schwülstigen Satzpassagen. Davon abgesehen wird man allmählich in eine sich immer verdichtendere Story hineingezogen, bei der auch das ständige Hin und Her hüpfen im Zeitstrang nicht mehr allzu störend wirkt.

Nebenbei erfährt der Leser einiges über das „Wirken“ der Pharmaindustrie und wie könnte es da anders sein, einiges über Medikamente, Tests, Zulassungen, Nebenwirkungen und Konkurrenzkampf.  Selbstverständlich schlucken auch die Protagonisten die eine oder andere Pille, mit Nebenwirkungen.

Sarah Smith rockt Erle

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Freundin aus Kanada gibt ihr drittes Konzert

„Wir sind bei diesem Konzert ausverkauft“, freut sich Veranstalter Michael Oestreich am Samstagabend auf der Erler-Kleinkunst-Bühne. „Viele Worte brauche ich nicht zu machen und ihnen die Künstlerin auch nicht vorstellen, es ist eine alte Freundin aus Kanada.“

Damit überließ Oestreich der Rock-Röhre Sarah Smith und ihrer Band (Gitarre: Pat Anthony, Bass: Ian Stewart, Drumms: Ralf Neuhaus) die Bühne, die mit frenetischem Applaus von den Zuhörern empfangen wurde. Zum dritten Mal in Erle vor ihrem Publikum zu spielen kommentierte Smith vor dem Konzert mit den Worten: „It`s like commin´ home.“ (Es ist, als ob man nach Hause kommt).  Und genauso warm und herzlich war die Atmosphäre am ganzen Abend für ihre alten Fans und die wenigen neuen Besucher, die Sarah Smith noch nicht kennen aber alle vom ersten Moment an begeistert waren. Kein Wunder also, dass viele Textpassagen mitgesungen wurden.

Ein neues Album hatte die Kanadierin dieses Mal nicht im Gepäck, dafür überraschte sie mit hervorragend interpretierten Titeln ihrer vorausgegangenen Scheiben wie das allseits beliebte „Runaway“ mit dem sie das Konzert eröffnete. Als Dank an die Erler folgte „Your Love“. Auch Fremdtitel streut Sarah in ihr Repertoire ein, das in Kanada und den USA sehr beliebte „I`ll be waiting“. Ihr wie auf den Leib oder die Stimme zugeschnitten ist der Song „Valerie“ von der viel zu früh verstorbenen Amy Winehouse.

Gut dass die Mehrzahl des Publikums in Brömmel-Wilms Saal steht, so können sie ungehindert ihrem durch die fetzigen Rock-Rhythmen angeregten Bewegungsdrang nachkommen, Tanzen erlaubt. Sarah Smith präsentiert natürlich auch die Stücke, die ihre Fans von ihr hören wollen, zum Beispiel „Angels“, „Empty void“, „Into the Light“ oder „Stand up“. Aber mit „Black velvet“, „Bobby McGee“ und als letztes Stück „Proud Mary“, beweist sie ihre Vielseitigkeit. Standing Ovations zeigen der Kanadierin, wie sehr sich die Zuhörer auf ihren nächsten Auftritt freuen.

 

Götz Alsmann bringt den „Broadway“ nach Borken

Galerie-Götz-Alsmann0082Götz Alsmann und Band haben „den mörderisch langen Weg von Münster nach Borken auf sich genommen“, um ihr Programm „Broadway“ am Samstagabend vor ausverkaufter Stadthalle ihrem Publikum zu präsentieren.

Altfrid M. Sicking (Vibraphon, Xylophon, Trompete),
Michael Ottomar Müller (Bass), Rudi Marhold (Schlagzeug) und
Markus Paßlick (Percussion), begleiteten Sänger und Pianisten Götz Alsmann bei den Klassikern aus dem American Songbook, unsterbliche Melodien von Cole Porter, George Gershwin, Jerome Kern, Rodgers & Hammerstein und vielen anderen.

Seit dem Beginn des Jazz-Zeitalters begeisterten sich die Menschen schon für diese Musik, so ist es nicht verwunderlich, dass die Broadway-Klassiker schon in den frühesten Tagen dieser Epoche in deutschsprachiger Fassungen erschienen.

Götz Alsmann greift diese Melodien und Texte auf, verpasst ihnen den typischen Alsmann-Sound und begeistert als der König der deutschen Jazzschlagers die Besucher von jung bis alt.

Meine kleinen Schwächen Orig. My Favourite Things, Traumvision Orig. My Funny Valentine, Tag für Tag Orig. Day By Day oder Mondnacht am Meer Orig. Blue Moon sind ein paar der Titel, die die Musiker in New York aufgenommen haben und an diesem Abend spielen. Das herrliche Musikprogramm wird immer wieder von Schnellsprecher Alsmann auf seine sehr witzige Art kommentiert. Er erzählt über die Entstehung des Albums und auch, wie sich die fünf Herren ihre rosa Sackos in Big Appel haben schneidern lassen: “ Bonbonfarbenen mit schwarzem Samtkragen, dazu eine schwarze Schleife, so gingen wir zum Hotel zurück und die Bauarbeiter haben uns nachgepfiffen und gefragt `ist denn schon Christopher Street Day?“ Dann paradiert die Band über die Bühne wie in einer Modenschau. Das bringt Götz dazu über seine musikalischen Wurzel zu plaudern. 1965, Modenschau des Otto-Versands in Münster, dort spielte Big Bobby Bingo Klavier. „Ich fragte ihn ob er wirklich Amerikaner ist“, erzählt Alsmann. Und der Mann antwortet im breitesten kölner Dialekt: „Ja, sischer dat!“ Bingo gibt dem jungen Alsmann den Rat: „Du willst also zum Broadway? Kann so 50 Jahre dauern. Lern Cole Porters Werke auswendig, dann wird dir eines Tages die große Ehre zuteil, ein Konzert im Vennehof in Borken zu spielen.“

Das Publikum ist begeistert, nicht nur wegen der kleinen Anspielungen auf Borken, dem Sprachwitz, sondern hauptsächlich wegen der großartigen Musik. Zugaben mit Band und als Solist mit Banjo runden das herrliche Programm ab.

 

Für Mirja Boes und das Velener Publikum ist das Leben „kein Ponnyschlecken“

Galerie-Mirja-Boes-Velen0063Sie war noch nicht ganz auf die Bühne in Velen gehüpft und schon konnten sich viele der rund 700 Zuschauer vor Lachen und Begeisterung kaum halten. Mirja Boes und ihre Band „Honkey Donkey“ bescherte dem Publikum in der Thesingbachhalle am Freitagabend ein dreistündiges Comedyprogramm, das die Lachmuskeln aufs äußerste strapazierte.

Nach einem kleinen Smaltalk mit den Besuchern, in dem sich die Vollblutkomikerin über die kleinen Amositäten zwischen Velen und Ramsdorf aufklären ließ, stellte sie kurz ihre „Jungs“ von der Band vor. Die sechs Musiker liefen einmal über die Bühne und waren dann erst einmal entlassen. Wer braucht schon Männer? Mirja braucht sie, um über sie zu lästern, oder damit sie mit ihr musizieren, denn die Comedian kann auch singen, wie sie am Abend mehrfach unter Beweis stellte. Und sie braucht die Männer auch um mit ihnen zu spielen. Schnell sind zwei Opfer gefunden, Matthias und Sebastian, beides Handwerker, sollen auf der Bühne ein Regal zusammenschrauben, dafür haben sie einen Song lang Zeit. Natürlich scheitern beide, bekommen aber ihr verdientes Sieger- und Gewinnerbier.

Männer sind Jäger und Sucher erklärt Boes, das erklärt sie an der typischen Männerfrage: „Wo ist denn?“ Als Mutter, Ehefrau, Freundin bezieht sie ihre Themen aus dem alltäglichen Leben. Den angeberischen Eltern, die über ihre Babys erzählen „Unserer hat schon 32 Zähne“ wünscht sie nur „Viel Spaß beim Stillen!“.

Zur Mitsingen für einige Frauen stimmt sie ihr Lied „Wenn du weg bist“ an „dann ist es wieder Schokolade, dann ess` ich wieder Schokolade“. Ihre kleinen bissigen Songs entwickelt sie locker aus ihrer Moderation und lässt sich kurz von den sechs Musiker begleiten, danach dürfen die dann in ihre Spielecke zurück.

„Wenn ich alleine mit denen unterwegs bin … ooh“, darf sie nicht über Krankheiten reden, denn von Männerseite kommt da immer eine Steigerung. So bekommt sie kräftiges Bedauern aus dem Publikum, als sie von ihrem Bandscheibenvorfall erzählt und der Liegeposition bei der OP. Sie schmeißt sich auf den Bühnenboden und meint: „In dieser Position sollten sich Männer uns annähern, wenn sie Scheiße gebaut haben.“ Da bleibt im Saal kein Auge trocken vor Lachen.

Mirja Boes ist ein Wirbelwind und ein Ausbund an Fröhlichkeit. „Als Kind war ich ruhig und angepasst“, meint die Lehrerstochter. Gut dass sie das abgelegt hat. Standig Ovations des begeisterten Publikums belohnten für einen gelungenen Abend.

 

J.B.Morrison Wie Frank Derrick mit 81 Jahren

Morrison-DerrickJ.B.Morrison: Wie Frank Derrick mit 81 Jahren das Glück kennenlernte. Roman aus dem Englischen von Karin Meddekis. Lübbe, Köln. 286 Seiten, 14,99 Euro Paperback

Beim Namen J. B. Morrison klingelt es bei dem einen oder anderen vielleicht im Musikgedächtnis, denn der vielseitige britische Autor war Mitglied der berühmten Indie-Rock-Band Carter USM und hat außerdem schon mehrere Soloalben veröffentlich, Drehbücher geschrieben und trat sogar in einem Musical auf. Mit „Wie Frank Derrick mit 81 Jahren das Glück kennenlernte“ fühlt er sich mit seinen 55 Jahren problemlos in die Welt alter Leute ein.

Im Grunde bestimmt die Langeweile das Leben des Protagonisten Frank Derrick, der alleine mit seinem Kater Bill in einem Haus wohnt. Frank macht sich so seine Gedanken, wie es weitergeht, wenn er durch einen Unfall ans Haus gefesselt ist. Schafft er es dann noch die Kredithaie, Dachdecker, Versicherungsvertreter abzuwimmeln und erst recht die Hersteller von Treppenlifts. Und dann kommt Franks 81. Geburtstag und das abstruse Unglück passiert, er wird von einem Milchwagen überfahren. Der Milchmann hatte bei acht Kilometern pro Stunde die Kontrolle über seinen Wagen verloren. Für Frank nicht so witzig wie für den Leser.

Nach der Krankenhausentlassung mit eingegipstem Arm kommt jedoch das Glück in Franks Leben in Form von „Weihnachten“. Kelly Christmas, die Haushaltshilfe betreut den Alten wöchentlich für einige Stunden. Das bringt den im Kopf eigentlich ganz jung gebliebenen Greis auf immer wieder neue Ideen. Frank Derrick entdeckt, dass es außerhalb seiner vier Wände noch eine Welt gibt mit vielen teils seltsamen Menschen. Er beginnt diese Welt zu erkunden, erlebt viele kleine Abenteuer und wird immer mutiger. In Franks humorvoll Ausdrucksweise mit Sioux-Namen, die er einigen Leuten gibt: „Die-die-das-Buch-lesen“ werden ihren Spaß an dem feinsinnigem Humor haben.

Sehr empfehlenswert für jeden, der alt werden möchte, sich einmal auf diese sehr witzige Weise mit den großen und kleinen Problemen des Altwerdens zu beschäftigen. Wie dieses Buch sehr schön verdeutlicht ist Altern nicht nur ein körperlicher Prozess, sondern auch ein geistiger und emotionaler, dem jeder nach seinen Möglichkeiten etwas entgegensetzen kann.

 

Salman Rushdie: Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte

Rushdie_Zwei_Jahre_3DSalman Rushdie: Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Tage. Aus dem Englischen von Sigrid Ruschmeier. Bertelsmann, München. 380 Seiten, 19,99 Euro.

Der große Geschichtenerzähler Salman Rushdie liefert mit seinem neuen Roman „Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte“ – das sind 1001 Nächte – ein Märchen von Dschinns und Dschinnyas, den weiblichen Märchenwesen, und hier besonders von der hochrangigen Dschinnya-Prinzessin Dunja, die sich in den Philosophen Ibn Ruschd verliebt und mit ihm eine ungezählte Kinderschar zeugt. So geschieht es zum Ende des Kalifats in Spanien, also im Mittelalter. Doch das ist nur der Beginn einer sehr kriegerischen Geschichte, denn nachdem der Mensch Ibn Ruschd stirbt und sich im Grab mit seinem Widersacher über Religion und Gott streitet, lebt Dunja als Geistwesen natürlich weiter.

„Niemand bemerkte es oder interessierte sich dafür, dass sie sich eines Tages zur Seite drehte, durch einen Schlitz in der Welt glitt und nach Peristan zurückkehrte, in die andere Realität, die Welt der Träume, die die Dschinn in regelmäßigen Abständen verlassen, um die Menschheit zu plagen oder zu beglücken.“

Die Schlitze in die Anderswelt schlossen sich, doch vielleicht ist es der philosophische Streit zwischen Ibn Rushd und seinem konservativen Gegner Gahzali, für den die Ewigkeit das wahre Leben ist, der die Durchgänge wieder öffnet. So muss Dunja handeln, denn

„Ihr Geliebter bat sie von jenseits des Grabes, ihre verstreute Familie zu vereinen und ihr zu helfen, gegen die kommende Weltkatastrophe zu kämpfen.“

Es gibt nicht nur gute Dschinns und Dschinnyas.

„Leider kehrten auch andere Bewohner der Dschinn-Welt in die Gebiete der Menschen zurück, und nicht alle hatten Gutes im Sinn.“

Sie stürzen unsere moderne Welt ins Chaos. Das zeigt Salman Rushdie an einer großen Anzahl an Personen. Es beginnt ganz klein, erst schwebt Mr. Geronimo ein winziges Stückchen über dem Boden, soviel dass ein Blatt Papier unter seine Schuhsolen passt. Doch das steigert sich. Die bösen Dschinns stürzen die Welt ins Chaos. Der Krieg zwischen Bösen und Guten wird von Persistan in unsere Welt getragen, es herrscht Terror. Können Dunja und ihre Nachkommen die Welt retten? Gibt es eine Waffe gegen den Terror?

Man muss sich nicht mit Philosophie oder Religionswissenschaften auskennen, um sich seine Meinung zu bilden und Position zu beziehen, auch in dem offensichtlich nie endenden Krieg der Gesinnungen. Bei aller Ernsthaftigkeit des hochaktuellen Themas, das der Autor hier in der Übertragung in die Märchenwelt aus tausendundeiner Nacht anspricht, lässt das Buch eine große Portion Humor nicht vermissen und ist außerdem hollywoodreifes „Kopfkino“. Eine absolute Leseempfehlung für alle, die phantastische Geschichten lieben aber auch für die, die Bezüge zum aktuellen Weltgeschehen in dieser abgedrehten Form überdenken möchten. Ein Buch, das man sich nicht entgehen lassen sollte.